Die niederländische Spieleindustrie sehnt sich nach ihrem eigenen Angry Birds.


Sie haben genug Talent und Qualität, aber den Spieleentwicklern in den Niederlanden fehlt der Geschäftsinstinkt, um ihre Spiele gut zu verkaufen. Die Frage ist nun, ob die Regierung einen Fonds einrichten sollte, wie in anderen Ländern, um den Sektor anzukurbeln....

Die Gamescom-Messe in Köln zog in diesem Jahr 350.000 Besucher an.

Spieleentwickler haben es schwer, ihre eigenen Videospiele auf den Markt zu bringen. Der Ruf nach einem neuen Investitionsfonds wird in der Branche immer lauter, während sie weiterhin unabhängig wächst.

Auf der Gamecom-Messe präsentieren sich die Niederlande als ein Land mit besonderen "Indie-Games". Länder wie Finnland, Deutschland und Polen investieren aktiv in den Spielesektor.

Meet Us" ruft ein Banner vom Holland-Pavillon in der Koelnmesse in Köln. Der Pavillon - eine Art holländisches Heineken-Haus 2.0 mit Orangetönen und einem Logo mit einem Löwen - steht auf der Gamescom, Europas größter Spielemesse. Mit 350.000 Besuchern übertrifft die Messe nun die führende Electronic Entertainment Expo (E3) in Los Angeles.

Der Holland-Pavillon.

Während die Spielefans in den anderen zehn Hallen freie Hand haben, hört man in Halle vier des Pavillons nichts von Videospielen. Das gilt auch für Ritter in Kettenhemden oder andere "Freaks", die lautstark ein Spiel spielen. Nein, hier tauschen Spielehersteller und Unternehmen ihre Visitenkarten am Fließband aus. Vor allem die niederländischen Spielemacher wollen sich hier profilieren.

Die weltweite Videospielindustrie ist ein Milliardengeschäft, das nach Ansicht von Kennern ein enormes Potenzial aufweist. Im Jahr 2018 wurden rund 137,9 Milliarden US-Dollar ausgegeben, was einem Anstieg von 10,9 % gegenüber dem Vorjahr entspricht, so der Marktanalyst Newzoo. Natürlich hat Big Tech in dieser Branche seine Finger im Spiel. So hat beispielsweise Microsoft, der Hersteller der Xbox, in diesem Jahr ein "Netflix für Spiele" auf den Markt gebracht. Der Konkurrent Google hat mit Stadia eine eigene Plattform zum Streamen von Videospielen entwickelt.

Inzwischen hat die Spielebranche sogar das Filmgeschäft Hollywoods überholt. Gleichzeitig verstärken sich die beiden Bereiche gegenseitig. Sie bilden eine gemeinsame Unterhaltungsindustrie. Wenn man sieht, wie Film, Musik und Spiele mehr und mehr zusammenkommen, kann man zu dem Schluss kommen, dass die globale Industrie wirklich erwachsen geworden ist und immer größer wird", sagt der Spieleunternehmer Reinout te Brake.

Ein bisschen faul

Mit sechs Spielen - Videospielen ohne die Unterstützung eines großen Geldgebers - profilieren sich die Niederlande auf der Gamescom gerne als unabhängiges Spieleland. Neben Optimismus gibt es aber auch Skepsis. Spieleentwickler, Unternehmensentwickler und PR-Leute aus den Niederlanden scheinen sich einig zu sein: Die eigene Spielebranche steckt noch in den Kinderschuhen. Wenn keine Maßnahmen ergriffen werden, droht der Sektor weiter an Boden zu verlieren.

Nur wenige Entwickler können ihr eigenes Spiel wirklich auf den Markt bringen", sagt Horst Streck, Vorsitzender der Dutch Games Association (DGA), und legt damit den Finger auf den wunden Punkt. Es geht um die Masse, mehr als 100.000 Downloads. Das ist der Zeitpunkt, an dem Sie zählen. An dieser Einstellung mangelt es oft bei den Entwicklern.

 

Der Spieleentwickler Koen Deetman arbeitete vier Jahre lang an dem Videospiel Deliver us to Moon

Auch dem Spieleentwickler Koen Deetman fehlt unter seinesgleichen oft der Geschäftssinn. "Man sollte nicht nur sein eigenes Spiel entwickeln, sondern es auch verkaufen. Laut Deetman ist die Zeit vorbei, in der sich Videospiele auf Steam - dem iTunes für Spiele - selbst verkaufen. " Dieses Denken ist ein bisschen faul", sagt er. Andererseits versteht er es aber auch. Bei der Entwicklung eines Videospiels geht es um Versuch und Irrtum. Ein Spiel muss hunderttausend Mal angepasst werden", sagt Deetman, der selbst vier Jahre lang an dem apokalyptischen Videospiel Deliver us the Moon gearbeitet hat, einem dieser Indie-Spiele. Manchmal ist es so schwer, dass man nicht wirklich an den nächsten Schritt denkt.

Der Spieleentwickler Koen Deetman hat vier Jahre lang an dem Videospiel Deliver us to Moon gearbeitet.
Foto: Keoken Interactive

Investitionen

Ende 2018 erwirtschaftete die niederländische Spielebranche einen Umsatz von 225 bis 300 Millionen Euro, das sind 11,5 % mehr als 2015. Dies geht aus dem Game Monitor 2018 hervor, der alle drei Jahre Zahlen liefert. Dieses Geld wurde von 575 Spielstudios verdient, von denen die meisten weniger als 10 Mitarbeiter hatten.

Obwohl die Branche in vielerlei Hinsicht gut dasteht, sieht Jan Pieter van Seventer, Direktor des Beschleunigers Dutch Game Garden, einen Mangel an Wachstumsgeldern. In Bezug auf Innovation, Talent und Qualität der Spiele läuft es gut, aber die Investitionen hinken weit hinterher. Van Seventer zufolge hat dies mit der Art der Investoren zu tun. " Uns fehlt ein Investitionsklima wie in Finnland oder Schweden, wo die Regierung aktiv mitwirkt", sagt er. Nach Angaben der Beteiligten fließen alle von der niederländischen Spielewelt erhaltenen Mittel direkt in den Pavillon.

 

Finnland

Dank der großen Erfolge von Angry Birds (Entwickler Rovio) und Clash of Clans (Supercell) ist Finnland das Mekka für Gamer. Die Agentur Business Finland, ehemals Tekes, die früher viel Geld in Nokia steckte, spielte dabei eine wichtige Rolle. Allerdings stellten sie fast 1 Million Euro für die Vermarktung von Spielen zur Verfügung. Zum Teil auf Kosten der Regierung könnte der finnische Spiele-Sektor schnell wachsen", sagt Van Seventer. Infolgedessen flossen Einlagen und Erträge zurück in die finnischen Staatskassen. Rovio ging schließlich 2017 für 1 Milliarde Euro an die Börse.

Laut Streck sind auch andere Länder den Niederlanden dank der staatlichen Unterstützung voraus. Die deutsche Regierung investiert jedes Jahr 50 Millionen Euro in die Glücksspielindustrie", sagt er. Nach Ansicht des DGA-Vorsitzenden spielt nicht nur frisches Kapital eine Rolle, sondern auch Wissen und spezielle Programme bringen die deutsche Branche voran. Diesen Weg müssen wir auch gehen", sagt Streck.

Gamefunding.

Übrigens haben die Niederlande eine Erfolgsgeschichte. Guerrilla Games wird auf der Gamescom oft zitiert. Das Amsterdamer Unternehmen, das aus dem Medienunternehmen Lost Boys hervorgegangen ist, hat mit Shooter-Spielen wie Killzone und zuletzt Horizon Zero Dawn große Erfolge erzielt. Es bekam einen wohlhabenden Partner: Vor fünfzehn Jahren wurde Guerrilla vom Elektronikriesen Sony als Studio gegründet.

Aber Guerrilla ist eine Ausnahme, und so wird es auch bleiben, befürchten Experten. Einmal mehr verweisen sie auf die fehlende staatliche Unterstützung. Auf die Frage, warum sich die Branche nicht selbst tragen kann, entgegnet Te Brake : "Gibt es nicht auch einen Filmfonds? Warum also nicht ein Spielefonds?' Ein solcher Fonds, für den der Unternehmer einsteht, macht sich doppelt bezahlt. Mit zusätzlichen Investitionen kann ein Studio seine Belegschaft schneller erweitern und seinen Umsatz steigern", sagt er. Zwischen 2015 und 2018 verzeichnete der Sektor einen Anstieg der Arbeitsplätze um 10 % auf 3850 Beschäftigte.

Investmentfonds.

Übrigens wäre vor fünf Jahren beinahe ein Spielfonds entstanden. Mit dem GameOn-Projekt würde die Zentralregierung 10 Millionen Euro in die Branche investieren. Te Brake, einer der Initiatoren, sah den Plan scheitern. "Vielleicht waren wir zu früh dran", sagt er. Aber in der Zwischenzeit haben alle möglichen anderen Länder Investmentfonds aufgelegt. Was das Timing angeht, wäre es jetzt besser gewesen, schauen Sie sich andere europäische Länder an. In den letzten Jahren hat Polen zum Beispiel mindestens 26,5 Millionen Euro in den Spielesektor gepumpt.

Wenn ein Spielestudio eine staatliche Investition erhalten möchte, muss es bestimmte Bedingungen erfüllen, weiß Te Brake. " Zuerst muss ein privater Investor gefunden werden, der mindestens eine halbe Million Dollar in das Projekt investiert", sagt er. Im Gegenzug erhält er Aktien, der Staat gewährt ein nachrangiges Darlehen, und wenn Gewinne erzielt werden, geben Sie das Darlehen frei.

Verwöhnen Sie

Allerdings sollte der Sektor öfter in den Spiegel schauen. "Man kann sich auch zu sehr verwöhnen lassen", sagt Deetman. Nach Ansicht des Entwicklers sollten junge Gamer besser für den großen Job ausgebildet werden. Wenn du in der Schule versagst, ist das in Ordnung, aber das bedeutet auch, dass es dich später eine Menge Geld kosten wird", sagt Deetman. 

Die Spielekurse auf höherer beruflicher Ebene in Breda und Utrecht werden allgemein gelobt, und Van Seventer findet es seltsam, dass die Universitäten hinterherhinken. Ich vermisse einen Nyenrode oder Erasmus", sagt der Direktor des Dutch Game Garden. Auf der Unterhaltungsseite gibt es im Bereich ?Business to Consumer" noch viel zu tun.

Schließlich legt Streck seine Hand in den eigenen Schoß. Wir können noch besser zusammenarbeiten", sagt er abschließend. Auch in der Welt der Spiele ist eine Fußballmetapher nie weit entfernt. Ajax hat gezeigt, dass man auch mit weniger Geld mit den großen Jungs mithalten kann. Auch das niederländische Angry Birds scheint nur eine Frage der Zeit zu sein.

 

Esport

Der Aufstieg des Esports.

Der elektronische Sport (esports) ist eines der Aushängeschilder der globalen Spieleindustrie. Das bekannteste Beispiel ist Fortnite, eine Art cartoonartiges Ballerspiel, in dem Jugendliche und die breite Masse aktiv sind, um sich virtuell zu treffen. Das Spiel, das von der amerikanischen Firma Epic Games und People Can Fly aus Polen entwickelt wurde, ist zwar erst seit zwei Jahren auf dem Markt, erfreut sich aber großer Beliebtheit.

So beliebt, dass sogar Weltmeisterschaften Fortnite organisiert werden. Dort spielen junge Menschen gegeneinander um schwindelerregende Summen. Der 21-jährige Niederländer Dave Jong, der im Internet als Rojo bekannt ist, wurde zum Beispiel im letzten Monat WM-Zweiter. Ein Platz, der mit 1 Million Euro Preisgeld dotiert ist. Dieses Geld muss er sich mit seinem britischen Teamkollegen, dem sechs Jahre jüngeren Jaden Ashman, teilen.

Quelle: FD.nl